Rekonstruktion individueller Zerfallsprodukte im hadronischen Zerfall von Tau-Leptonen: Ein Tor zu CP-Asymmetriemessungen

Im Laufe des Jahres 2015 wurde in der ATLAS-Kollaboration zum ersten Mal ein Algorithmus zur Rekonstruktion der einzelnen Zerfallsprodukte jedes hadronisch zerfallenden Tau-Leptons zur Einsatzreife entwickelt. Dies führt zu einer signifikanten Verbesserung von Energie- und Richtungsauflösung des sichtbaren Tau-Leptons. Damit gehen mehrere Vorteile einher, die vorher nicht zugänglich waren: Zum einen verbessert sich die Sensitivität von Suchen und estehenden Analysen, wenn das Higgs-Boson besser von Untergrundprozessen unterschieden werden kann. Und zum anderen eröffnet es ganz neue Möglichkeiten, z.B. zur Bestimmung des CP-Mischungswinkels des Higgs-Bosons in fermionischen Zerfällen.

Im ATLAS-Experiment am LHC gibt es viele mögliche Quellen von Tau-Leptonen, dem schwersten bekannten epton. Bei seinem Zerfall entstehen in den meisten Fällen hadronische Endzustände. Besonders interessant ist das Tau-Lepton unter anderem, weil der Zerfall des Higgs-Bosons in das Tau-Lepton (JHEP 04 (2015) 117) den bislang einzigen Zerfall des Higgs-Bosons darstellt, in dem seine direkte Kopplung an Fermionen über die Yukawa-Kopplung mit hoher Signifikanz gemessen werden kann. Darüber hinaus würde die Korrelation der Spins der Tau-Leptonen im Endzustand eine weitere Beobachtung ermöglichen: Die Messung der CP-Asymmetrie des Higgs-Bosons, also sein Verhalten in Bezug auf die Teilchen-Antiteilchen-Symmetrie. Um dies zu rekonstruieren, muss der Impuls und die Richtung jedes einzelnen Teilchens im Tau-Zerfall einzeln rekonstruiert werden können.


Im Fall des Higgs-Bosons stellen sich daher zwei Herausforderungen: Die möglichst präzise Identifikation und Rekonstruktion der sichtbaren Tau-Zerfallsprodukte, und die Bestimmung der internen Kinematik des Tau-Zerfalls. Mit den bisherigen Methoden war Letzteres nicht möglich. In er Neuentwicklung der Tau-Rekonstruktion stellte sich heraus, dass ein vom sogenannten “Teilchenfluss” inspirierter Ansatz das Erreichen beider Ziele in einem Schritt ermöglicht.

Auflösung der sichtbaren Tau-Energie

Die Verbesserung der Energieauflösung wird in der Abbildung mit der Bezeichnung "Auflösung der sichtbaren Tau-Energie" dargestellt. Im für die Higgs-Boson-Produktion relevanten Energiebereich unter 70GeV Energie ergibt sich eine Verbesserung durch die neue Rekonstruktion (schwarze runde Punkte) über die vorherige (rote runde Punkte) um über 60%.


Mindestens genauso relevant ist, dass die interne Kinematik des Tau-Zerfalls verstanden werden kann. In der Abbildung mit der Bezeichnung "Verteilung der sichtbaren Masse" erkennt man die Masse der Zerfallsprodukte jedes einzelnen rekonstruierten Tau-Leptons. Die einzelnen erfallsmoden, in unterschiedlichen Farben dargestellt, können so statistisch unterschieden werden.

Verteilung der sichtbaren Masse

Die neue Tau-Rekonstruktion wurde hauptsächlich an der Universität Bonn in den Gruppen von Philip Bechtle, Klaus Desch und Jochen Dingfelder entwickelt, unter Federführung von Will Davey und Peter Wagner, und unter Beteiligung von Benedict Winter, Christian Limbach, tephanie Yuen, Michel Janus, Mark Hodgkinson, Pavel Malecki, Vince Croft und Zinonas Zinonos. Die Veröffentlichung erschien im European Physical Journal C unter der Referenz Eur. Phys. J C 76(5), 1-26 (2016).


Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Desch, desch@physik.uni-bonn.de
Prof. Dr. Karl Jakobs, karl.jakobs@uni-freiburg.de
Prof. Dr. Hans-Christian Schultz-Coulon, coulon@kip.uni-heidelberg.de

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